Das berufspolitische Engagement erfordert oft ein hohes Maß an Geduld und Frustrationstoleranz. Um so mehr freut es dann, wenn eine lange immer wieder geduldig vertretene Position von einem höchstrichterlichen Urteil bestätigt wird: Das BSG gibt uns Psychotherapeuten Recht: die Rechtsprechung zum Mindestpunktwert hat ohne Einschränkung für die Zeit ab 2000 Bestand – ein Erfolg für uns alle, erstritten vor allem auch durch den bvvp – Das BSG hat Recht gesprochen. Die Rechtsmaßstäbe, die zuvor einen Mindestpunktwert von 10 Pf bis 1998 für erforderlich gehalten hatten, bleiben unverändert für die Zeit ab dem 1. Quartal 2000 bestehen. Denn weder wurde zwischenzeitlich das Gleichheitsgebot aus dem Grundgesetz entfernt noch die übrige Ärzteschaft im Honorarkeller der Psychotherapeuten eingebunkert. Das BSG hat denen in der ärztlichen Selbstverwaltung und bei den Krankenkassen, die bis zuletzt glauben wollten, in eigener Machtvollkommenheit klare Sachverhalte und ebenso klare höchstrichterliche Rechtsgrundsätze nach Opportunität bis zur Unkenntlichkeit verdrehen zu können, eine neuerliche klare Grenze gesetzt und an die Pflichten erinnert, auch bei den Psychotherapeutenhonoraren die fundamentalen Verfassungsgrundsätze einzuhalten. Wir hoffen nun, dass das Licht dieser Erkenntnis jetzt auch bis in die Winkel(-züge) der EBM-Diskussion leuchtet und für eine Zukunft mit solidem wirtschaftlichen Boden sorgt. Ein Blick zurück… Erinnern wir uns. Seit 1993 wurde in ununterbrochener Folge den Psychotherapeuten und psychotherapeutisch tätigen Ärzten Unrecht zugefügt, das keinesfalls nur mit den rechtswidrig vorenthaltenen Honorarsummen auch nur annähernd zu umschreiben ist. Einer ganzen Arztgruppe wurde über mehr als 10 Jahre eine gesicherte Existenzgrundlage vorenthalten, dabei billigend in Kauf genommen, dass viele von uns in unerträgliche finanzielle und persönliche Bedrängnis gerieten, erhebliche Einschränkungen der Qualität der psychotherapeutischen Arbeit und Versorgung sowie der Entwicklung des Faches entstehen konnten. und die meisten von uns vor der bangen Frage stehen, wie sie Ihre völlig unzureichende Altersvorsorge je kompensieren können. Die ersten Urteilen des BSG vom Januar und August 1999, erwirkt von Musterklägern des bvvp, brachten eine erste Wende bei der schier ungebremst abfallenden Honoraren für unsere Leistungen. Wir hatten in unseren Verfahren minutiös die Situation einer typischen Psychotherapeutenpraxis und ihrer Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten dargelegt und bis ins Detail die krassen Unterschiede zwischen unserer Mangelhonorierung und den Verdienstmöglichkeiten der übrigen Ärzten und anderer akademischer und nichtakademischer Berufsgruppen nachgewiesen. Nur auf dieser fundierten, durch zahlreiche Datenauswertungen und Plausibilitätsberechnungen gestützten Basis war es dem BSG möglich, in so eindeutiger Weise zu Gunsten der Psychotherapeuten einzugreifen. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, kann man daran ermessen, dass in der Regel der ärztlichen und Kassenselbstverwaltung von der Gerichtsbarkeit ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt wird und die Gerichte sich davor hüten einzugreifen, wenn es nicht dringend erforderlich ist. Nur so kann ja eine Selbstregulierung im Bereich der Selbstverwaltung überhaupt funktionieren und verhindert werden, dass deren Beschlüsse grundsätzlich von den Mitgliedern nur noch vor den Gerichten überprüft und entschieden werden. Um so bedeutender war es, dass das BSG in unserem Fall sogar einen festen Betrag von 10 Pf nannte. Solch klare Definition eines festen Betrages, auf den einzelne Mitglieder oder Gruppen eines selbst verwalteten Bereiches Anspruch haben, gehörte bis dato nicht zur Spruchpraxis eines Gerichtes. Doch anhand der so unzweifelhaft dargelegten Beweislage sah sich das BSG offensichtlich gezwungen, hier einen Pflog einzuschlagen. Dieser Pflog stellt bei genauerer Betrachtung ja auch keine Festsetzung eines konkreten Honorars dar, sondern, was gerne vergessen wird, eine Grenze nach unten, eine Mindesthonorierung, die eine Noch-Vergleichbarkeit im Sinne des Grundgesetzes gewährleisten soll. Die KBV brauchte nach den bahnbrechenden BSG-Urteilen genau ein halbes Jahr, ehe sie – nach Wechsel an der KBV-Spitze – den Dreh gefunden hatte, wie man zum Scheine die Plausibilitätsberechnungen der BSG-Urteile aufgreifen kann und in mehreren Rechenschritten so entstellen und umbiegen kann, dass unter dem Strich wieder dasselbe Honorarergebnis für die Psychotherapeuten herauskam, wie vor den BSG-Urteilen. So gelangte die Beschlussvorlage in den Bewertungsausschuss. Die dortigen Kassenvertreter nahmen diese Steilvorlage dankend an und durften sich freuen, dass die ärztliche Selbstverwaltung bei dem eigenen Klientel der Psychotherapeuten mit derartiger Sparsamkeit freiwillig etwas Druck aus dem gedeckelten Budget der Gesamtärzteschaft nahm. Inzwischen liegt uns die dritte Version des Unrechtsbeschlusses vor, als Lehrstück, wie viele fintenreiche Variationen zum Thema zielgerichtetes Herunterrechnen der Honoraransprüche möglich sind – ein schier unerschöpfliches Potential an nicht gerade konstruktiver Kreativität! Im Vorfeld des BSG-Verhandlungstermines… Auch im nun zweiten BSG-Verfahren zu den Honoraren ab 1/2000 war die Aktivität des bvvp unverzichtbar. Zum einen gingen unsere zahlreichen Ausarbeitungen zu den Bewertungsausschussbeschlüssen mit in die Argumentationen unserer und anderer Verfahren mit ein. Des weiteren wurde die Sonderauswertung für Psychotherapeuten zur Kostenstrukturanalyse 1999, die von uns in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung vorbereitet und gefördert worden war, zur unverzichtbaren Datengrundlage und Argumentationshilfe bei dem Bemühen, mit gerichtlich verwertbaren Fakts Dichtung von Wahrheit zu trennen. Und schließlich konnte die gebündelte Prozesserfahrung von inzwischen 10 Jahren in die Sprungrevision unseres Südwürttemberger Musterklägers Hermann Mezger einfließen. Wie notwendig diese Erfahrung war und ist, zeigte sich im Vorfeld an mehreren Stellen. In den zwei Parallelverfahren von Vereinigung und DPTV war es in den Berufungen unseren Kollegen aus den genannten Verbände im ersten Anlauf offensichtlich nicht gelungen, dem Landessozialgericht klarzumachen, dass über die Grenze von 36 Wochenstunden Behandlung bei 43 reinen Arbeitswochen hinaus nicht noch weitere 15 % an sonstigen Leistungen, allen voran probatorische Sitzungen, im Rahmen einer optimalen Praxisauslastung geleistet werden können. Doch es kam sogar noch schlimmer: der DPTV ging in Nordrhein noch kurz vor dem BSG-Termin mit einem Musterkläger vor die Schranken des Gerichts, der eine bundesweit rekordverdächtig hohe Summe abgerechneter Leistungen vorzuweisen hatte. Ein wohlfeileres Geschenk an unsere Prozessgegner zum passenden Zeitpunkt konnte man sich gar nicht vorstellen! Das machte aus unserer Sicht zusätzlich zu unseren zwei sorgfältig ausgearbeiteten Schriftsätzen zur Sprungrevision nötig, auf die Schnelle noch einmal Daten zu erheben und in die Debatte zu werfen: Wenn in Südwürttemberg lediglich 6,7 %, in Südbaden nur 8% aller Psychotherapeuten trotz Honorarnotstand gelang, die Hürde der optimalen Auslastung nach BSG-Definition (2.244.600 Punkte pro Jahr oder 561.150 Punkte pro Quartal) zu nehmen -gemessen über sämtliche Leistungen (einschließlich übrige Leistungen) -, konnten wir damit doch zuletzt noch jeden Zweifel ausräumen, dass weitere 15 % übrige Leistungen in keinem Fall erbracht werden konnten und können. Nach dem Urteilsspruch des BSG… Nun hat das BSG erneut Recht gesprochen und bekräftigt, was es schon in seinen ersten Pilot-Urteilen zu bvvp-Musterklagen für Recht erkannt hatten: Es hat unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass der Bewertungsausschussbeschluss rechtswidrig ist, dass es zwar dem Bewertungsausschuss überlassen bleibt, welche Rechenwege er im einzelnen einschlägt zur Ermittlung des angemessenen Honorars der Psychotherapeuten, dass aber im Ergebnis ein vergleichbares Einkommen, wie sie das BSG bisher in seiner Plausibilitätsberechnung bisher definiert hatte, herauskommen muss. für die Jahre 2000 und 2001 kann als Vergleichsgruppe weiterhin die Allgemeinmediziner gelten, ab 2002 muss aber wegen der Facharzt- Hausarzt-Budgettrennung eine Vergleichgruppe aus dem Fachärztlichen Bereich gewählt werden, z.B. die Gruppe der Nervenärzte. Der Bewertungsausschuss-Beschluss wurde vor allem verworfen wegen der Anknüpfung an das Jahr 1998 zur Ermittlung der Praxiskosten der optimal ausgelasteten Psychotherapie-Praxis, wegen des dabei verwendeten, nicht sachlich begründbaren Faktors von 1,47 und der willkürlichen Obergrenze von 66.000 DM für die Praxiskosten. Die fortgesetzte Wirksamkeit der BSG-Rechtsgrundsätze garantiert, dass mit Nachzahlungen in dem Umfang zu rechnen ist, wie zuletzt für 1998 (in der Regel zu einem Punktwert um ca. 10 Pf). Nach unserer Sicht der Dinge ist es keine Anmaßung zu behaupten, dass dieser Erfolg zuallererst ein Erfolg der kontinuierlichen Arbeit des bvvp an der Honorarfront darstellt. Die Bedeutung dieser jüngsten BSG-Entscheidung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die erneut bekräftigten Rechtsgrundsätze sind unsere einzig haltbare Sicherheit, vernünftige Bedingungen im EBM 2000+ und bei der Gestaltung der Regelleistungsvolumina für Psychotherapeuten zu verhandeln oder – bei fortgesetzter Uneinsichtigkeit – gerichtlich zu erstreiten. Mit diesen Urteilen im Rücken können wir wirklich aufatmen: die Psychotherapie ist jetzt nicht mehr auf dem kalten Weg des Entzugs der Existenzgrundlage eliminierbar, sondern kann sich unter realistischen – aber keineswegs üppigen – Bedingungen qualitativ entfalten und ungehindert fachlich entwickeln. Insofern haben nicht einfach nur die Psychotherapeuten einen Gewinn davongetragen. Gewinner sind auch die psychotherapeutische Versorgung, die Psychotherapiepatienten und die gesamte Medizin, die eine gesunde Entwicklung in unserem Bereich als notwendigen Bestandteil einer zeitgemäßen Krankenbehandlung und -versorgung dringend benötigt. Kassel, den 28.1.04 Norbert Bowe“ |